Eine Methode für frauenspezifische Selbstverteidigung feiert Jubiläum
Im 2019 feiert Pallas, die Interessensgemeinschaft für Selbstverteidigung für Mädchen und Frauen, ihr 25 jähriges Bestehen. Zu diesem Jubiläum finden zahlreiche Veranstaltungen statt, darunter auch Schnupperkurse in der ganzen Schweiz. Frauenselbstverteidigung kann das partnerschaftliche Verständnis in unserer Gesellschaft fördern und geschlechterspezifische Vorurteile abbauen.
Seit Kindesalter praktiziere ich im Dojo meiner Eltern Karate. Diese traditionelle Kampfkunst ist seit jeher meine Leidenschaft und war auf meinem bisherigen Lebensweg eine Bereicherung und mentale Unterstützung: Auf Bedrohungen, Beleidigungen oder Gewalt im Allgemeinen reagierte ich meistens sicher und gestärkt. In der Pubertät begann ich zu realisieren, dass viele meiner Freundinnen und Freunde über diese Sicherheit und innere Stärke nicht verfügen. Oft beobachtete ich in ihren Reaktionen Überforderung und Ohnmacht im Umgang mit grenzverletzendem Verhalten. Heute weiss ich, dass Schutz vor Gewalt ein gesellschaftliches Thema ist, das weit über die Praxis auf den Tatami hinausgeht und für das keine Lösungsstrategien in Form von Patentrezepten existieren.
Im 2015 absolvierte ich die Ausbildung zur Pallas-Trainerin, eine in den 90er Jahren entwickelte Methode für Frauenselbstverteidigung, die in Zusammenarbeit mit dem BASPO konzeptioniert und verbreitet wurde. Während dem Kennenlernen der Pallas-Methodik beschäftigten mich vor allem folgende Fragen: Vor wem sollen wir uns eigentlich schützen lernen? Wie gehe ich mit grenzverletzendem Verhalten um und wann gibt es Momente, in denen ich selber Grenzen anderer Menschen überschreite? Auf der Suche nach Antworten realisierte ich, wie komplex dieses Themenfeld ist und wie viele Vorurteile in den Köpfen von Frauen und Männern existieren. Selbstschutz beinhaltet individuelle und zielgruppenspezifische technische und taktische Überlegungen. Deshalb erfordert eine wirkungsvolle Gewaltprävention Kenntnisse über die eigenen, individuellen Voraussetzungen und die vielfältigen, kulturellen Lebenswelten innerhalb unserer Gesellschaft. Dazu gehört auch ein Verständnis über die verschiedenen Altersgruppen – über ihren Lifestyle und ihre Umgangsformen.
Angst überwinden
Das Einschätzen von realistischen Gefahren und die Beurteilung, welche Handlungen sich als angemessene Reaktionen eignen, erfordern Erkenntnisse aus diversen Fachbereichen. Im Zentrum steht die Betrachtung von Täter-Gruppen bezüglich Alter und sozialer Herkunft. Ein achtjähriges Kind begegnet anderen Gefahren als ein Teenager, der Gewalt – gemäss statistischen Untersuchungen – vorwiegend innerhalb der ersten Liebesbeziehung erlebt. Erwachsene Frauen dagegen laufen eher Gefahr, in den eigenen vier Wänden Opfer von Gewalt zu werden, als während ihrem nächtlichen Ausgang am Wochenende (vgl. Optimus-Studie 2012 und Istanbul Konvention 2018). Demnach ist es wichtig, die Vorstellung vom unbekannten männlichen Täter abzubauen und die damit verbundene Angst zu überwinden. Unter diesem Gesichtspunkt kann geschlechtergetrennter Unterricht deshalb Sinn machen, weil eigene Erfahrungen in einem geschützten Rahmen thematisiert und das Selbstvertrauen gestärkt werden können. Wenn Frauen realisieren, dass Angst sie in die Opferrolle fallen lässt, dann haben sie einen ersten Entwicklungsschritt gemacht, um nicht ohnmächtig und handlungsunfähig zu werden.
Hintergrundwissen hilft
Weil Gewalt viele Gesichter hat und demnach verschiedene Ausprägungsformen annimmt, ist es bei der Vermittlung von Selbstverteidigungstechniken wichtig, dass unterschiedliche inhaltliche Akzente gesetzt werden. Eine wirkungsvolle Methodik in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Frauen beinhaltet das Vermitteln adäquater technischer Fertigkeiten und dem damit verbundenem Hintergrundwissen – entsprechend dem Alter, den körperlichen Voraussetzungen und den geschlechtsspezifischen Problemkreisen. Mithilfe von Transfergesprächen wird eine Verbindung zwischen Übungsbeispielen und eigenen alltäglichen Erfahrungen hergestellt. Dies ermöglicht, in Gewaltspiralen den eigenen Anteil zu begreifen, ein Früherkennungssystem von Gefahren zu entwickeln, eigene Stärken zu spüren und den Mut aufzubauen, für sich selber und Andere einzustehen. Pallas-Kurse bieten den notwendigen geschützten Rahmen für diesen Austausch. Sie verfolgen das übergeordnete Ziel, sich der eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Rechte bewusst zu werden und Fähigkeiten zu entwickeln, in Konfliktsituationen angepasst reagieren zu können.
Gerne lade ich Interessierte ein, sich auf der Website www.pallas.ch über die verschiedenen Aktivitäten der Interessensgemeinschaft zu informieren, an Veranstaltungen teilzunehmen oder sogar als Mitglied bei Pallas aktiv zu werden. Im 2019 finden zum 25 jährigen Jubiläum zahlreiche Aktivitäten in der ganzen Schweiz statt. Ein besonderer Wohltätigkeitsanlass ist der Galaabend vom 15. Juni 2019 in Cham (ZG). Interessierte sind herzlich willkommen, daran teilzunehmen. Für weitere Informationen stehe ich jederzeit gerne zur Verfügung.
Aurelia Golowin (Pallas Delegierte SKF und Pallas Regionalverantwortliche Bern, Fribourg und Wallis)